Blick in die „schöne neue Welt“ der Digitalisierung
Diskussionsrunde beim Informationskreis der Wirtschaft Traun/Alz
Und wo bleibt die reale Welt?
Wie verändert dieDigitalisierung unser Leben? Dieser zentralen Fragewidmete sich die jüngste Diskussionsrunde des Informationskreises derWirtschaft Traun/Alz beim Unternehmen Regnauer in Seebruck. Im Bild, von links: Stefan Neumann (Brückner Siegsdorf), Frank Rohde (Personalchef Adobe Deutschland), Prof. Dr. Evelyn Ehrenberger (Präsidentin der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft), Josef Willkommer (Geschäftsführer und Co-Eigentümer der TechDevision) und Thorsten Delbrouck (Chief Information Security Officer Giesecke & Devrient)
− Foto: ede
Seebruck. Die Schlagwörter der „Digitalisierung“ und der „Industrie 4.0“ oder „Arbeitswelt 4.0“ bestimmen die öffentliche Diskussion und mehr noch, sie bestimmen bereits seit langem den Alltag. Was steckt dahinter? Wie gehen Unternehmen, Hochschulen und die Gesellschaft damit um? Diese Fragen bestimmten die jüngste Diskussionsrunde des Informationskreises der Wirtschaft Traun/Alz im Unternehmen Regnauer.*
Im Nachgespräch als wichtigster Appell, wenn auch in der Runde nur wenig diskutiert, erschien die Mahnung von Seniorchef Engelbert Regnauer: Über all die Digitalisierung und die virtuellen Welten, die reale Welt nicht zu vergessen.
Zum Stellenwert nicht akademisch Gebildeter in der Arbeitswelt meldeten sich Stimmen aus dem Publikum: Auch sie bringen Qualifikationen für den digitalisierten Arbeitsmarkt mit sich, würden aber zu oft allein schon durch den Text von Stellenbeschreibungen ausgeschlossen.
Rückhalt erhielt diese Position durch den Beitrag eines Gastes von der Industriellenvereinigung Salzburg mit dem Tenor: Mehr Mut zum Meister als zum Master.
Um die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung im Land zu nutzen, sei außerdem weniger eine hundertprozentige Breitbandabdeckung bis in jeden Winkel des Landes nötig, sondern Blick in die „schöne neue Welt“ der Digitalisierung eher noch ein Umdenken in den Köpfen und vor allem auch ein Umdenken bei vielen Behörden. Das war eine zentrale Aussage in der Diskussionsrunde.
Für die Hochschulwelt zeigte Prof. Dr. Evelyn Ehrenberger, Präsidentin der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft (HDBW) in München mit Filiale in Traunstein Ausgangslage und Trend: Die HDBW will eigene Wege gehen. Sie sieht in der Wirtschaftsinformatik, wie sie an vielen Hochschulen traditionell aus den Studiengängen BWL und Informatik entstanden ist, zum Teil veraltete Module.
In der neuen Ausbildung sollten nicht nur Grundkenntnisse an IT und BWL mit modernen Fallbeispielen unterrichtet, sondern auch Schwerpunkte gesetzt werden bei Data Science, eBusiness und eCommerce, also bei internetbasiertem Handel, sowie mobile und Cloudlösungen einbezogen werden.
Digitalisierung sieht Prof. Ehrenberger als Megatrend für Konsumentenverhalten und als Chance für viele Start-ups. Daher lege die HDBW einen weiteren Schwerpunkt auf Entrepreneurship, also auf die Ausbildung zum Unternehmertum.
Unterstützung erhielt Prof. Ehrenberger von Thorsten Delbrouck, Chief Information Security Officer beim Geldspezialisten Giesecke & Devrient: Die akademische Welt müsse sich neu orientieren, sonst verliere sie den Anschluss an die Anforderungen der Berufswelt.
Welches Potenzial in der Digitalisierung steckt, zeigte Unternehmer Josef Willkommer von TechDivison in Kolbermoor am Beispiel von Zahlen des Wirtschaftsdienstes Bloomberg: „Im Jahr 2014 wurden mehr als 300 Millionen Dollar in AI Start-ups investiert“ – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 300 Prozent. AI steht für „artificial intelligence“ also für künstliche Intelligenz. Für das Jahr 2018 werden sechs Milliarden „connected devices“ vorhergesagt.
Connected devices sind „verbundene Geräte“, zum Beispiel intelligente Haushaltshilfen, die Befehle, die man ihnen erteilt, nicht nur ausführen, sondern daraus lernen und ihre Schlüsse ziehen. Ende 2018 werden „Digitale Assistenten“ Kunden und Partner anhand ihres Gesichtes und ihrer Stimme über unterschiedliche Kanäle erkennen. Ein Google-Programm sei bereits in der Lage, mit 34 Prozent höherer Treffsicherheit als professionelle Lippenleser ein Gespräch zu rekonstruieren. Elektronik im Leben hat so das Potenzial zum allumfassenden Spion im Leben.
Künstliche Intelligenz werde allein in den USA bis zum Ende der Dekade rund 16 Prozent aller Jobs ersetzen, zum Beispiel in Banken und Versicherungen, prophezeit Willkommer. Welche Jobs konkret neu geschaffen werden, außerhalb der anspruchsvollen IT-Berufe, die notwendig sind, um die Digitalisierung vorantreiben oder wenigstens zu bewerkstelligen, blieb offen. Welche Berufe noch eingespart werden könnten, zeigt ein Beispiel aus Australien: Dort zieht der Hausbauroboter von Fastbrick Robotics „Hadrian X“ in nur zwei Tagen ein Einfamilienhaus hoch. Mit der Technik der additiven Fertigung werde dieses Verfahren auch in anderen Regionen umgesetzt werden, so die Prognose.
Aber noch eine düstere Warnung gab Josef Willkommer mit auf den Weg: Wer jetzt das Internet und die Digitalisierung aufmerksam verfolgt, der könne erahnen, was alles in Labors von Entwicklungsfirmen und Geheimdiensten erprobt werde.
In einem konstruktiven Umgang mit den neuen Technologien, mit einer offenen Kommunikation in den Unternehmen und einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen sieht Frank Rohde, Personalchef Adobe Deutschland, einen erfolgversprechenden Weg in die neue Arbeitswelt.
Ähnlich argumentierte Thorsten Delbrouck: Zwei überkommene Prinzipien gelten als tabu für den, der in der modernen Welt überleben will: „Das haben wir schon immer so gemacht“ und: „Das haben wir noch nie so gemacht.“ Gleichzeitig illustrierte er, wie Arbeitnehmer, Partner, Kunden oder Rivalen weltweit nur durch Millisekunden im Internet verbunden sind. Und allein in Indien gebe es rund 80 Millionen Smartphone-Nutzer, die am Marktgeschehen im Internet teilnehmen können.
So habe zum Beispiel ein Schüler aus Indien eine Schwachstelle auf der Homepage des Unternehmens entdeckt, gemeldet und dafür eine Prämie erhalten. Mit Leistungen dieser Art finanziere der Junge seinen Schulbesuch, erklärte Delbrouck zum Kontrast von doch wohl versorgten Kindern der Mittelschicht in Deutschland. Ob Partnerschaft oder Konkurrenz – in der neuen digitalen Welt liegen sie nur Millisekunden weit entfernt.
− ede
* Das vor über 85 Jahren gegründete Unternehmen Regnauer setzt mit rund 200 Mitarbeitern konsequent auf „vitales Bauen“, in den Bereichen Privathaus- und Objektbau. Details zum Gastgeber: www.regnauer.de